Eine typische Szene in einem Abstellraum, die jeder zu kennen glaubt. Der große Karton, der durch den Aufdruck seine ursprüngliche Verwendung für Knäckebrot verrät, der liegende Karton, dessen Öffnung nach vorne eine Sechser-Einteilung zeigt, die typisch für Weinkartons ist, sie alle sind uns vertraut. Was uns so selbstverständlich erscheint, ist jedoch das Ergebnis einer präzisen Objektauswahl, eines überlegten kompositorischen Arrangements, einer subtilen Beleuchtung und einer maltechnisch vollkommenen Umsetzung durch den Rosenheimer Künstler Gerhard Prokop.
"Stillleben 7", wie der prosaische Titel lautet, gehört zu einer zwölfteiligen Serie von großformatigen Darstellungen von Alltagsgegenständen, mit der der Hyperrealist 1980 seinen Stil und seinen künstlerischen Weg nach zweijähriger Suche gefunden hatte.
Begonnen hatte der Sohn des Rosenheimer Künstlers Karl Prokop mit Bildern, die dem Phantastischen Realismus zuzuordnen sind, und die er bereits 1978 in einer Einzelausstellung in der Sparkasse Rosenheim präsentieren konnte. Doch schon bald fand er die Beliebigkeit der Darstellung in diesem Stil unbefriedigend. Gerhard Prokop wollte eine Richtung finden, wo er direkt an den Objekten die Richtigkeit seiner malerischen Umsetzung überprüfen und korrigieren konnte; er wollte sich die realistische Maltechnik in Vollendung aneignen und sich in die Disziplin nehmen.
1978 reiste Gerhard Prokop nach Paris und verbrachte eine Woche von morgens bis abends im Louvre. Hier studierte er die alten Meister, wollte ihre Werkstattgeheimnisse enträtseln und herausbekommen, welche Maldetails im Bild, wie auf den Betrachter wirken. Doch auch mit aktuellen Vertretern des Realismus setzte sich der Förderpreisträger des Jahres 1976 der Stadt Rosenheim auseinander, so mit dem Werk des Schweizers Franz Gertsch oder des US-Amerikaners Chuck Close.
Im gleichen Jahr startete der Rosenheimer mit "Stillleben mit Weinglas" eine Reihe kleinformatiger Bilder, die mit ihrer Objektauswahl von Gläsern, Blumen, Büchern oder Malutensilien ganz in der Tradition des klassischen, im Barock entwickelten Stilllebens stehen. Auch wenn sich diese gefälligen Sujets schnell verkauften, sie waren nicht mehr als Fingerübungen auf dem Weg zur künstlerischen Eigenständigkeit.
Neben Porträts und Landschaften widmete sich Gerhard Prokop nun vor allem dem Stillleben. Die Objekte dafür, die er in der Familienvilla in der Herbststraße suchte, fand er aber jetzt nicht mehr in den Vitrinen der Bel Etage, sondern im Keller und auf dem Dachboden.
Das "Stillleben mit Milchkanne" markierte 1979 die entscheidende Wende. Prokop hatte sich damit von der Tradition gelöst und zu einer eigenen Bildsprache gefunden. Auf einem alten Tisch gruppieren sich um eine Blechmilchkanne eine Handschaufel, eine Bierflasche mit offenem Bügelverschluss, eine Glühbirne, ein Seil sowie ein Porzellankännchen, in dem eine Schere und eine zweizinkige Gabel stecken. Die pyramidale Komposition ist wohl überlegt, das Verhältnis von Spannung und Ausgewogenheit ist in der Balance. Die harte Frontalansicht hat etwas gnadenloses. Wir haben die desillusionierte Illusion, die sachliche Dokumentation. Nicht die Dinge sind die Bildaufgabe, sondern Komposition, Form und maltechnische Umsetzung. Die Farbe ist untergeordnet und auf Grau- und Brauntöne reduziert.
Mit "Kellerstillleben", einer Komposition aus zwei Schaufeln, einem Blecheimer, einem Blechhaferl und einem alten Paar Schuhe, ist der Künstler 1979 das erste Mal in der Großen Kunstausstellung im Haus der Kunst in München vertreten. Unter 535 Ausstellern fiel der Rosenheimer auf, sein Bild wurde vom Förderverein "Freunde Haus der Kunst" angekauft. Gerhard Prokop hatte seinen Weg gefunden.
Schuhe, die Prokop als etwas sehr Bodenständiges empfindet, eröffneten 1980 eine Serie von zwölf großformatigen Stillleben, in der der Realist Gartengeräte, einen Stuhl, eine Kochplatte und eine elektrische Bohrmaschine malerisch thematisierte. Drei Bilder dieser Serie, die Stillleben 6, 7 und 8, sind dem Thema "Schachteln" gewidmet. Gerade bei "Stillleben 7" sind die abgebildeten Dinge konzentriert und auf den Punkt gebracht. Nichts lenkt ab von der eigentlichen Aufgabenstellung, der Wiedergabe der Wirklichkeit. Der organische Bezug, den der Maler für seine Objekte fordert, funktioniert, wie ein Organismus hat die Komposition "Kopf, Herz und Hände". Der akribische Arbeiter beherrschte nun das Handwerk und hatte sich von den Vorbildern befreit. Mit seinen konzeptuellen Stillleben fand Prokop die Wertschätzung der Künstlerkollegen. Er benötigte keine beschreibenden Bildtitel mehr, die Nummerierung hatte durchaus etwas von Laborcharakter.
Auch wenn wir als Betrachter in der alten Kommode und den schäbigen Schachteln Symbole der Vergänglichkeit, der Vanitas, erkennen können, verweigert Prokop einen Symbolgehalt grundsätzlich. Für ihn sind es einfach banale Alltagsgegenstände, die ihm als Material für seine Aufgabenlösung dienen, nicht unähnlich der Arte Povera, der "armen Kunst", wie sie italienische Künstler ab den 1960er Jahren in ihren Rauminstallationen verwendeten, und in der er durchaus einen Anknüpfungspunkt sieht.
Reisebilder wie "Kairo" und seine schon legendär zu nennenden TV-Bilder markierten die nächsten wichtigen Schritte, die Gerhard Prokop, zusammen mit Franz Weickmann und seinen Tierskulpturen, 1981 in einer umfangreichen Werkschau in der Städtischen Galerie Rosenheim präsentieren konnte. Seit 2006 widmet sich der Künstler seinen "Stadtlandschaften" und zeigt "Rosenheim und anderswo", so der Titel seiner Ausstellung im Städtischen Museum 2012, aus ungewöhnlichen Perspektiven.
Dr. Evelyn Frick
Städtische Galerie Rosenheim, Depot. Inventarnummer 2820; Öl auf Leinwand; Entstehungsjahr 1980; Signatur rechts unten "GERHARD PROKOP '80"; Höhe 100 Zentimeter, Breite 130 Zentimeter; aus der Jahresausstellung des Kunstvereins Rosenheim in der Städtischen Galerie angekauft 1980.
Informationen auf www.gerhard-prokop.de
Vielen Dank an Gerhard Prokop für das Gespräch.