Rainer Dillen "Landschaftsbild, türkis", 1984

Zarte vegetabile Formen streben in einem lichten Türkis nach oben, scheinen zum Himmel zu streben, auf dem eine Wolke zieht. Was hier wächst, verweigert sich einer biologischen Beschreibung. Welche Bäume könnten das sein? Sind es überhaupt Bäume?

Ähnliche pflanzliche Gestalten begegnen in einem ebenfalls 1984 von Rainer Dillen geschaffenen Bild mit dem Titel "Weibliche Figur vor südlicher Landschaft". Ein diskreter Hinweis, vielleicht sehen wir auch hier eine südliche Landschaft. Dann könnte die schlanke, hohe Form links eine Zypresse sein. Doch diese Überlegungen führen nicht weiter. Eine weibliche Figur ist jedenfalls nicht auszumachen, dafür ein kräftiger Kubus, dessen rautenförmige Spitze einen harten Akzent setzt zu den anderen, weichen Formen. Durchaus begreifbar als Symbol für das Männliche. Den kompositorischen Ausgleich zu den starken Senkrechten bilden feine horizontale Wellenlinien. Hier ist nichts dem Zufall überlassen, alles hat seinen genauen Platz und seine Aufgabe in dieser harmonisch ausponderierten Komposition. Die durchscheinend zarten Türkisgrün Töne unterstreichen das Pflanzliche. Das "Landschaftsbild, türkis" ist ein signifikantes Beispiel für eine der Hauptschaffensphasen von Rainer Dillen, in der er sich mit reduzierten pflanzlichen Formen und stilisierten menschlichen Figuren auseinandersetzte.

Rainer Dillen führt uns mit diesem Landschaftsbild in eine innere Landschaft, eine Seelenlandschaft. Der Rosenheimer Künstler, der heuer im Mai nach längerer Krankheit verstorben ist, hatte ein tiefes Gefühl für das Gefährdetsein des Menschen und der Umwelt. So war er 1971 Gründungsmitglied einer der ersten ökologisch orientierten Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik, dem "Rosenheimer Forum für Städtebau und Umweltfragen e. V.". Hier engagierte er sich für eine vernünftige Politik, eine maßvolle Entwicklung des Stadtbildes, eine Förderung des kulturellen Lebens und den behutsamen, schützenden Umgang nicht nur mit der Umwelt, sondern mit allem Lebenden. Dillen wollte immer zum Positiven verändern, bei aller Kritik aufbauen und fördern. So stiftete er 1968 sein Preisgeld, er hatte als erster den Kulturförderpreis der Stadt Rosenheim erhalten, um einen Architektenwettbewerb für den Bau der neuen Stadthalle voranzutreiben.

Das öffentliche Engagement war die eine Seite des Rainer Dillen, der seit 1960 als freischaffender Künstler in Rosenheim lebte. Die andere Seite war sein Schaffen als Maler, Zeichner und Grafiker. Vergebens wird man in seinem Werk nach plakativen politischen Aussagen suchen. Zu feinsinnig, zu subtil ging er an seine Bildthemen heran, als dass er sie grober Propaganda preisgegeben hätte.

Rainer Dillen führt uns in eine Seelenwelt, beseelt von Pflanzen, Menschen, Tieren als Teil des Kosmos und seiner Ordnung. Jede Störung hier führt unweigerlich zur Störung des Ganzen. Dillens chiffrenhafte Kunst hat durchaus etwas Kryptisches an sich. Man muss sich einlassen, einschwingen in den Dillenschen Kosmos, in die Zauberwelt eines zutiefst sensiblen und zurückhaltenden Menschen, der so gar nichts mit dem lauten Kunstbetrieb anfangen konnte.

Der Sohn des niederländischen Malers Peter Martinus Dillen (1890 - 1985) wollte zuerst nicht Künstler werden. Doch die Ausbildung zum Tiefdruckretuscheur weckte seine Begeisterung und Liebe zur Kunst. Eine frühe Hauptphase war dem Porträt gewidmet. Hier legte Dillen mit psychologischem Tiefblick das Innerste des Dargestellten frei und übertrug es eindringlich auf die Leinwand. Höhepunkt und Endpunkt zugleich war 1973 das Porträt des Malerfreundes Hans Müller-Schnuttenbach, auf das auch die derzeitige Ausstellung in der Städtischen Galerie nicht verzichten kann. In diesem Porträt begegneten sich zwei bedeutende Rosenheimer Künstler, die sich auf weiten Strecken ihres Schaffens der Landschaft verschrieben hatten: Müller-Schnuttenbach der äußeren, Rainer Dillen der inneren Landschaft.

Die letzte große Retrospektive widmete die Städtische Galerie Rosenheim dem Mahner und prophetischen Seher 1989, vor nun immerhin 30 Jahren. Eine weitere große Ausstellung konnte er in der Städtischen Galerie 2008 mit dem Künstlerkollegen Andreas Bindl verwirklichen. Wie gefährdet Kunst ist, musste Rainer Dillen 2010 erleben, als seine Sonnenuhr, die er 1977 für die Fürstätter Schule als "Dokument kosmischer Ordnung" entworfen hatte, für einen Anbau eingemauert, also im Grunde zerstört wurde.

Tröstlich, dass man seinen wunderbaren Vogelbrunnen von 1985 jederzeit, jedenfalls in den warmen Monaten, wenn ihn keine hölzerne Schutzhaube verbirgt, hinter der Nikolauskirche sehen kann. Hervorgegangen aus einem Brunnenwettbewerb für die neu geschaffene Fußgängerzone am Max-Josefs-Platz und dort für zu fragil empfunden, erhielt er hier einen intimen Platz. Welch wunderbares Bild ist der kleine Vogel, der die Gelegenheit nutzte, als das Türchen seines Käfigs offen stand, ins Freie zu fliegen und von dem frischen Wasser zu trinken.

Dr. Evelyn Frick

 

Städtische Galerie Rosenheim, Depot. Inventarnummer 03070.B; Gouache; Entstehungsjahr 1984; Höhe 84 Zentimeter, Breite 114 Zentimeter; aus der Jahresausstellung des Kunstvereins Rosenheim in der Städtischen Galerie angekauft 1985.

Literatur: Ausstellungskatalog "Rainer Dillen. Retrospektive. Bilder - Gouachen - Grafik. 1959 - 1989. Städtische Galerie Rosenheim, 1989.

Rainer Dillen, "Landschaftsbild, türkis", 1984 © Städtische Galerie Rosenheim

Rainer Dillen, "Landschaftsbild, türkis", 1984 © Städtische Galerie Rosenheim