Mima von Jonquières, "Abstrakte Kompositionen", 1961

Zwei Farbkörper schmiegen sich auf einem taubenblauen Untergrund aneinander. Der linke scheint von unten zu kommen, der rechte von oben. Ein waagrechtes Band, das sich quer über die gesamte Bildfläche zieht, verbindet die beiden. Die Farbe wurde hauptsächlich mit der Spachtel aufgetragen, was eine mosaikartige Flächigkeit mit einer abwechslungsreichen Textur ergibt. Lebendigkeit resultiert aus dem Nebeneinander von hellen und dunklen, warmen und kalten Tönen; Tiefe durch vorspringende Farben, wie dem Orangerot, und sich zurückziehendem Braun. Türkis, Lila und Giftgrün setzen dynamische Akzente.

Das Gemälde von Mima de Jonquiéres lässt sich in die Stilrichtung "Lyrische Abstraktion" einordnen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der französischen Hauptstadt als "Nouvelle École de Paris" entwickelte und deren prominenteste Vertreter Jean Dubuffet, Francis Picabia oder Nicolas de Staël sind. Die direkte Konkurrenz saß in den USA, wo der Abstrakte Expressionismus der "New York School" mit Willem de Kooning, Barnett Newman oder Jackson Pollock den Siegeszug antrat. Hier wie dort suchte man nach einer neuen künstlerischen Ausdrucksform als Reaktion auf die Schrecken des Krieges und fand sie in der Abstraktion. Doch auch wenn sich Paris und New York einen Kampf um die Vorrangstellung in der Kunst lieferten, eines war beiden gemeinsam: Frauen spielten nur eine sehr untergeordnete Rolle. Lediglich zwei, Lee Krasner und Helen Frankenthaler, konnten sich international behaupten.

Die "Abstrakte Komposition" von 1961 zeigt Mima von Jonquières auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Viel beachtete Einzelausstellungen wie in Sao Paulo und Rio de Janeiro, Paris, Stockholm, Zürich, Hamburg, Kopenhagen, Köln, Frankfurt, Berlin, Stuttgart und Salzburg lagen hinter ihr. Im Münchner Haus der Kunst vertrat sie 1958 in der maßgeblichen Ausstellung "München 1869-1958 aufbruch der modernen kunst" als eine der wenigen Künstlerinnen das damals aktuelle Kunstgeschehen. Gruppenausstellungen, oft gemeinsam mit ihrem langjährigen Lebensgefährten der Nachkriegsjahre, Wolf Reuther, präsentierten ihre Werke auch in Wien, Brüssel, Tunis und Algier sowie New York. Da wundert es nicht, dass Bilder dieser einst so erfolgreichen Malerin heute in den Depots der Städtischen Galerien von Rosenheim und Oberhausen, dem Lenbachhaus München oder dem Museum of Modern Art in New York, das 1951 ein ganzes Konvolut erwarb, vorhanden sind.

Gelegentlich erscheinen Bilder von Mima von Jonquières noch auf Auktionen, bevorzugt ihre Werke der Lyrischen Abstraktion der 1950er Jahre, weniger das Figürliche, das sie auch schuf. Doch immer mehr schwindet die Erinnerung an eine einst mit internationalen Preisen ausgezeichneten Künstlerin, die den Kunstpreis der Stadt Paris als "beste ausländische Malerin" (1952), den Prix de l' Union des Femmes Peintres Internationales vom Musée de l' Art Modern, Paris (1952), den 1. Prix International Deauville (1958), den Prix de la Critique im Grand Salon Vichy (1959) sowie 1960 in Algier den Prix de l'Abstrait und die Ehren-Medaille des Internationalen Malerwettbewerbs erhielt.

Irmgard Peltzer, wie ihr Mädchenname lautet, wurde in eine großbürgerliche Familie geboren und kam schon früh durch den Vater, der Kunstsammler war, mit der Kunstwelt in Berührung. Kein geringerer als Lovis Corinth, dem Rudolph Peltzer anlässlich eines Atelierbesuchs frühe Werke der Tochter gezeigt hatte, lobte ihr Talent.

Konsequent begann die junge Frau ein Kunststudium in Berlin bei dem Sezessionisten George Mosson (1851-1933), der bekannt ist für seine Blumenstillleben, Landschaften und Porträts. Ein folgender Studienaufenthalt in Paris um 1929 mit dem Besuch zweier renommierter Studienstätten, der Académie de la Grande Chaumière und der Académie Julian, erweiterte ihre Ausbildung.

Dann der erste große Einschnitt. Die Heirat mit Dr. Wilhelm Otto von Jonquières (1894-1945), dessen Name von seiner hugenottischen Abstammung zeugt, unterbrach ihre künstlerische Karriere, die Familie hatte Vorrang. Als der Jurist und hohe Beamte in den letzten Kriegstagen bei den Angriffen auf Berlin fiel, war Mima von Jonquierès schon mit den beiden Kindern nach Bayern geflüchtet. Schloss Neubeuern und Gut Hinterhör in Altenbeuern sollten für sie zu schicksalhaften Orten werden. 1925 war sie das erste Mal hier her gekommen, vermittelt durch die Freundschaft ihrer Mutter Alice Peltzer mit Ottonie Gräfin von Degenfeld-Schonburg, und einige weitere Aufenthalte, besonders an Festtagen wie Weihnachten oder Ostern, sollten folgen.

Nun hatte sie also als Witwe Zuflucht gefunden auf Gut Hinterhör, hier begegnete sie dem jungen Künstler Wolf Reuther (1917-2004) und wurde seine Lebensgefährtin. Der Sohn eines Mannheimer Industriellen war von 1929 bis 1934 Schüler im Landschulheim in Schloss Neubeuern gewesen, das die beiden verwitweten Schwägerinnen Julie Baronin von Wendelstadt und Ottonie Gräfin von Degenfeld-Schonburg 1925 gegründet hatten. Als Reuthers Atelierwohnung in München 1944 ausgebombt wurde, flüchtete auch er nach Neubeuern. Hier hatte er schon 1943 im Ortsteil Holzham ein kleines Grundstück, neben einer alten Brechstube, erworben und dort ein Notbehelfsheim errichtet, das er nach und nach zu einem Wohnhaus mit Atelier ausbaute.

Wolf Reuther, der an der Münchner Akademie bei Olaf Gulbransson studiert hatte, führte Mima von Jonquières wieder zurück zur bildenden Kunst. Reuther, beeinträchtigt durch eine Knieoperation in der Jugend, konnte während der Kriegsjahre als Bühnenbildner und Intendant arbeiten, getarnt unter verschiedenen Vornamen, um der politischen Verfolgung zu trotzen, wie sein Sohn Romain Reuther erläutert. Start der gemeinsamen künstlerischen Tätigkeit war 1948 die Kulissenmalerei am Gärtnerplatztheater in München. Als Reuther kurz darauf nach Brasilien ging, wo die Firma seiner Familie eine Niederlassung in Sao Paulo hatte, nahm er einige Bilder seiner Lebensgefährtin mit und präsentierte sie in einer Gemeinschaftsausstellung. Von dem Erlös der verkauften Bilder konnte Mima de Jonquières die Passage auf einem Frachter nach Brasilien bezahlen. Hier in Brasilien malte sie zusammen mit Reuther eine neu erbaute Kirche in der Provinz Mato Grosso aus.

Auf Vermittlung des französischen Botschafters in Brasilien lebte das Künstlerpaar von 1949 bis 1951 in Paris, wo sie in der Rue de la Grande Chaumière auf dem Montparnasse ein bescheidenes Atelier bezogen und gemeinsam bei Fernand Léger (1881-1955) Unterricht nahmen. Sie unterstützten sich gegenseitig bei ihrer jeweiligen Suche nach dem richtigen künstlerischen Weg. Reuther, vielfältig begabt, wandte sich nun ebenfalls ganz der Malerei zu und entwickelte seinen persönlichen figurativen Stil. Mima von Jonquières fand in der Lyrischen Abstraktion den ihr adäquaten Ausdruck. Der temperamentvolle Wolf Reuther erhielt durch die Sanftmut und Beharrlichkeit seiner Lebensgefährtin einen ausgleichenden Ruhepol.

Ab 1951 lebten die beiden in Holzham, Studien- und Ausstellungsreisen führten sie durch Europa und Afrika. In der Städtischen Galerie Rosenheim hatte Mima von Jonquières 1951 und 1953 Einzelausstellungen sowie 1951 und 1959 Beteiligungen an Gruppenausstellungen. Eine erfolgreiche Künstlerinnenkarriere zeichnete sich ab.

Doch dann kam der zweite große Einschnitt. Wolf Reuther hatte beschlossen zu heiraten und eine Familie zu gründen. In der jungen französischen Adeligen Inès de Camaret hatte er die richtige Frau gefunden und vor der Hochzeit im März 1961 musste Mima das Künstlerheim verlassen. Mima von Jonquières hatte zwar auch danach noch freundschaftliche Kontakte zur Familie Reuther, doch ihre künstlerische Karriere neigte sich langsam dem Ende zu. Ihren neuen Lebensmittelpunkt fand sie in München, wo sie sich wieder der Familie und nun den Enkelkindern widmete. Ihre letzte Ruhestätte fand Mima von Jonquières in Hamburg im Familiengrab auf dem Ohlsdorfer Friedhof.

Dr. Evelyn Frick

 

Städtische Galerie Rosenheim, Depot. Inventarnummer 1261; Signatur unten rechts "1961 Jonquières"; Gouache auf Karton; Höhe 28 Zentimeter, Breite 48 Zentimeter; Erwerb 1963.

Dank an alle, die mich mit Informationen versorgten, allen voran die Tochter Verena Riedweg und Romain Reuther (Mimas Patenkind).

Literatur: Dietmar Elger: Abstrakte Kunst. Köln 2008. Barbara Hess: Abstrakter Expressionismus. Köln 2005. Georg Imdahl: Nur wenige fanden Aufnahme in den Club der malenden Männer. FAZ 5. Januar 2019.

Mima von Jonquières "Abstrakte Kompositionen", 1961 © Städtische Galerie Rosenheim

Mima von Jonquières "Abstrakte Kompositionen", 1961 © Städtische Galerie Rosenheim